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Geburt - eine Frage der Perspektive

Erst neulich las ich in der Zeitung einen Bericht über eine spektakuläre Geburt auf der Wiener Südost- Tangente. Der Mann hatte seine wehende Frau nicht mehr rechtzeitig in ein Krankenhaus bringen können, half seinem Baby daher am Pannenstreifen der Autobahn auf die Welt und band die. Nabelschnur mit einem Schnürsenkel ab. Wow! Seit der Geburt meiner eigenen Kinder noch immer voller Hormonen musste ich gleich ein Tränchen verdrücken. Doch irgendetwas an der Geschichte war nicht stimmig, hinterließ einen Nachgeschmack. Ich musste ein paar Augenblicke darüber nachdenken, was mein Unwohlsein beim Lesen dieses Geburtsberichts auslöste. Als es endlich klick machte, sagte ich laut: „Das sind halt die Auswüchse des Patriachats…!“ Mein Mann sah mich fragend an. Meine Gedanken hatten sich überschlagen, er konnte mir nicht folgen. Wie auch? Während es ihm langsam dämmerte, holte ich weit aus:


„Sie wurde am soundsovielten geboren.“

„Wann bist du geboren worden?“

„Als ich auf die Welt kam,...“

„Dann war das Baby auch schon da.“


„Das Passiv wird im Deutschen verwendet, wenn der Fokus eines Satzes auf der Handlung und nicht auf dem Handelnden liegt bzw. der Handelnde gar nicht erst erwähnt werden soll.“ So erklären schon die Deutschbücher der Sekundarstufe I die Verwendung von Passivkonstruktionen in der deutschen Sprache. Während es nachvollziehbar ist, warum z.B. beim Berichten über eine Schlägerei unpersönliche Formulierungen verwendet werden, lässt sich nur schwer ergründen, warum bei Aussagen über Geburt die handelnde Person ausgeklammert, ja bewusst nicht erwähnt wird. Hier zwei Theorien.


1. Geburt gilt als unschön und unsauber.

Seit Jahrhunderten (wenn nicht sogar länger) gilt Geburt als unschön, unsauber. Sie ist mit

Schmerzen, Blut und diversen Körperausscheidungen verbunden und hat letztlich sehr viel

mit dem weiblichen Genital zu tun. Männer waren in den seltensten Fällen anwesend,

Wegschauen war die Devise. Dass Geburt als nicht schön, dreckig und sogar gefährlich

gegolten hat (und zum Teil immer noch gilt), schlägt sich natürlich auch auf die Sprache

nieder. Aussagen über die Geburt wurden und werden auch heute noch so formuliert, als

wäre außer dem Baby niemand anwesend gewesen.


2. Die handelnde Person.

Meine andere Theorie beschäftigt sich mit der Frage nach der handelnden Person. Wer ist

diese handelnde Person unter der Geburt? Sind es Ärzt*innen und Hebammen mit

medizinischem Know How, die in der Lage sind, Mutter und Kind bei einem Notfall das Leben

zu retten? Oder doch die kompetente Frau*, die sich mit ihren Wehen bewegt, verschiedene

Positionen einnimmt, um ihr Baby tiefer zu schaukeln, und weiß, wie sie tönt und schiebt, bis

sie ihr Baby gebiert?


Unsere heutige Sichtweise auf Geburt spricht der Gebärenden als handelnde Person nicht nur ihre

Kompetenz ab, sie ist auch eine zutiefst männliche. Kehren wir zurück zu dem Zeitungsartikel: Indem


der Bericht nicht aus der Perspektive der Mutter – der wahren Heldin der Geschichte – geschrieben

wurde, wurde ihr nicht nur Kompetenz abgesprochen, sondern sie wurde in der Geburtsgeschichte

komplett ausgeklammert, als wäre sie gar nicht anwesend gewesen. Stellvertretend dafür wurde der

Mann gefeiert. Dafür, dass er dem Baby auf die Welt geholfen und es mit dem Abbinden der

Nabelschnur – was btw gar nicht notwendig gewesen wäre – gerettet hatte.


Doch wir wären nicht im Jahr 2024, wenn wir nicht lernfähig wären: Andere Print- und Onlinemedien haben im Gegensatz zu dem von mir zitierten Artikel die Geschichte aus der Sicht der Frau berichtet. Ich war bei weitem nicht die einzige, die sich über diese Art der Berichterstattung beschwert hat. Die erwähnte Tageszeitung hat das Feedback angenommen, Rückmeldung dazu gegeben, die Berichterstattung korrigiert und neu veröffentlicht und das Thema intern besprochen. Chapeau! Und last, but not least: Vielen unserer Leser*innen hätte ich diese Zusammenhänge gar nicht erst erklären müssen, weil sie sich bereits selbst damit befasst haben.


„Ihre Mutter hat sie am soundsovielten geboren.“

„Wann hat dich deine Mutter geboren?“

„Als mich meine Mutter auf die Welt brachte,...“

„Dann schob sie ihr Baby auch schon auf die Welt.“


Sprache schafft also Realität. Während ich die obenstehenden Aussagen in persönliche

Formulierungen übersetze, merke ich, wie ungewohnt sie sich anfühlen. Mich als Mutter heben sie

sogar auf eine Bühne, auf der ich mich davor selbst nie betrachtet habe und auf der ich erst lernen

muss, mich wohlzufühlen. Die Schreibweise des Worts „gebiert“ musste ich sogar im Wörterbuch

nachschauen, so selten wird es verwendet. Wir haben also alle etwas zu lernen, Frauen* wie

Männer*. Und wieder einmal wird mir klar, warum Feminismus eine Sache ist, die alle betrifft.

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